«Katholische Kirche wünscht den Dialog» Interview mit Walter Kardinal Kasper, Präsident des Päpstlichen Einheitsrates

SOK AKTUELL

Informationsdienst der Serbischen Orthodoxen Diözese

für Mitteleuropa

12. April 2010

«Katholische Kirche wünscht den Dialog» Interview mit Walter Kardinal Kasper, Präsident des Päpstlichen Einheitsrates

Walter Kardinal Kasper

Der neue Serbische Patriarch Irinej (Gavrilovic) sendete sowohl vor als auch nach seiner Wahl Ende Januar eindeutige Signale der Dialogbereitschaft an die Römisch-katholische Kirche. Die Atmosphäre der orthodox-katholischen Beziehungen erscheint im Moment, zumindest im Hinblick auf die Serbische Orthodoxe Kirche, besonders angenehm. Auch soll im Herbst eine neue Runde der katholisch-orthodoxen theologischen Gespräche auf höchster Ebene stattfinden, wenn in Wien die Dialogkommission beider Kirchen zusammenkommt. Aus diesem Anlass haben wir Ende März in Rom mit Walter Kardinal Kasper, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, gesprochen. Kardinal Kasper spricht über die Erfahrungen mit der SOK und ihren Oberhäuptern, über den Stand des katholisch-orthodoxen Dialogs, die Aufarbeitung von historischen Traumata sowie über die Haltung des Hl. Stuhls in Bezug auf die politische Situation in Südosteuropa.

Eminenz, der neue Serbische Patriarch Irinej hat sowohl vor als auch nach seiner Wahl große Dialogbereitschaft mit Rom signalisiert. Auch einen Papstbesuch im Jahr 2013 hat er ausdrücklich begrüßt. Wie würden Sie in diesem Kontext den aktuellen Stand des katholisch-orthodoxen Dialogs beschreiben?

Kardinal Kasper: Wir haben uns hier in Rom über die Wahl des neuen Patriarchen sehr gefreut. Er hatte sich sehr freundlich für den Dialog ausgesprochen. Ich persönlich kenne ihn von meinem Besuch in Nis vor einigen Jahren. Damals hatte er mich zum Jubiläum des „Mailänder Toleranzedikts“ Kaiser Konstantins im Jahr 2013 eingeladen. Wir hoffen auf eine sehr gute Zusammenarbeit mit dem neuen Patriarchen und der Orthodoxen Kirche in Serbien. Auch bisher hatten wir eine gute Zusammenarbeit mit ihr gehabt.

Das orthodox-katholische Gespräch hat im Grunde schon während des Zweiten Vatikanischen Konzils durch die Begegnung des Papstes Paul VI. mit dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras 1964 in Jerusalem begonnen. Der Dialog ist dann durch einen langen Briefwechsel weiter gegangen. In den 80er Jahren haben die offiziellen theologischen Gespräche angefangen. Man hat sich damals zunächst darüber unterhalten, was uns verbindet, denn was uns verbindet, ist wesentlich mehr als das, was uns trennt. Man hat das gemeinsame Fundament wieder entdeckt und wir haben uns als Kirchen anerkannt. Das war sehr wichtig. Dann hat es nach 2005 eine zweite Phase gegeben, die zunächst zur Erklärung von Ravenna geführt hat. Diese betrachten wir – auch der Papst selbst – als einen wirklichen Durchbruch, weil darin zum ersten Mal von einer universalen Kirche gesprochen worden ist. Es wurde auch über den besonderen Rang, der dem Bischof von Rom zukommt, gesprochen. Ebenfalls wurden aber auch die Spannungen thematisiert, die zwischen den Konzepten des Primats und der Synodalität entstehen, die aber auch miteinander verbunden sind.

Dann haben wir auf Zypern darüber gesprochen, wie der Primat und die Synodalität im ersten Jahrtausend gelebt wurden. Damit haben wir erst angefangen: Das ist eine sehr delikate Frage für beide Seiten und man darf nicht hoffen, dass man sie von heute auf morgen lösen kann. Wir werden im September in Wien fortfahren. Ob es dann schon zu einem Dokument kommt oder nicht, ist völlig offen. Der Papst hat mir mehrfach gesagt: Nicht drängen, sondern mit Geduld, mit gegenseitigem Respekt aufeinander hören und miteinander diskutieren. Man kann keine Fahrpläne aufstellen, aber wir hoffen, dass wir in Wien einen guten Schritt vorankommen werden.

Diese Dokumente sind aber nur ein Teil des Dialogs. Mindestens ebenso wichtig sind die persönlichen Beziehungen. Wir haben gute Beziehungen schon zu dem Patriarchen Pavle gepflegt. Das war wirklich ein heiligmäßiger Mann. Auch zum neuen Patriarchen haben wir schon Beziehungen. Darüber hinaus zeigt sich unsere gute Zusammenarbeit mit der Serbischen Orthodoxen Kirche in der Partnerschaft, die die Orthodoxe theologische Fakultät in Belgrad mit der Lateran-Universität hat. Auch der katholische Erzbischof von Belgrad, Stanislav Hocevar, pflegt gute Beziehungen zur Orthodoxen Kirche. Zum Ökumenischen Patriarchen haben wir freundschaftliche Beziehungen. Zu Moskau haben sich die Beziehungen inzwischen sehr verbessert und stellen heute einen normalen Gesprächskontakt dar, vor allem mit dem neuen Zuständigen, dem Metropoliten Hilarion. So sind wir mit der Orthodoxie insgesamt auf einem guten Weg. Es ist völlig klar: Die Katholische Kirche wünscht den Dialog, sie wünscht die Annäherung. Wir haben großen Respekt vor der sehr reichen orthodoxen Tradition, liturgisch wie theologisch.

Sie haben in ihrem Buch „Wege der Einheit“ geschrieben, die Katholiken und die Orthodoxen verbinde das Sakramentale und Theologische, während die Unterschiede vielmehr im Kulturellen und Mentalitätsmäßigen zu finden seien. Wie wirken sich diese Unterschiede konkret auf den katholisch-orthodoxen Dialogprozess?

Kardinal Kasper: Osteuropa und Westeuropa sind auch vor dem „kalten Krieg“ sehr unterschiedliche Wege gegangen: Denken wir zum Beispiel an die osmanische Zeit. Die Mentalität ist in Osteuropa eine ganz andere als in Westeuropa. Das muss nicht negativ bewertet werden, sondern kann durchaus zu einer gegenseitigen Bereicherung führen. Es gab aber eine lange Zeit der Isolierung. Auch sollen manche historische Erfahrungen aufgearbeitet werden. In diesem Bereich sind wir schon einen guten Schritt vorangekommen. Darüber hinaus existiert für manche auch das Sprachproblem. Aber wir werden unser Bestes geben. Ich würde sagen: Westeuropa braucht Osteuropa, braucht damit also auch Serbien. Diese reiche Kultur kann uns bereichern, vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden Säkularisierung, die wir alle in Europa spüren.

Lassen Sie uns bitte an das Stichwort „historische Erfahrungen“ anknüpfen, das Sie im Kontext der Probleme zwischen Ost- und Westkirche erwähnt haben. Die Serben haben zum Beispiel im Zweiten Weltkrieg und auch in den Neunzigerjahren tragische Erfahrungen mit den Kroaten gemacht. Für viele Serben ist daher die Rezeption der Römisch-katholischen Kirche sehr durch ihre tragischen Erfahrungen mit den Kroaten geprägt. Kann der Vatikan etwas tun, um diesen mentalen Knoten zu lösen?

Kardinal Kasper: Wir befürworten sehr, dass sich das serbische orthodoxe Episkopat und das kroatische katholische Episkopat treffen. Es muss zu Begegnungen untereinander kommen, das kann man nicht von Rom aus machen. Wenn man sich trifft, einander anschaut, miteinander redet, wenn es geht miteinander betet, oder zumindest miteinander isst und trinkt, hilft das sehr, um solche Barrikaden zu überwinden. Man könnte zum Beispiel gemeinsame Wahlfahrten planen, an denen auch das Volk teilnehmen würde. Die Überwindung der historischen Erfahrungen muss über Begegnungen gehen: Einen anderen Weg sehe ich da nicht. Natürlich müssen beide Völker ihre Schuld eingestehen und um Vergebung bitten. Jedes Volk hat seine Schuldgeschichte: Es gibt kein „heiliges Volk“ und kein „unheiliges Volk“. Sünder sind wir alle. Das muss man aussprechen und dann muss man verzeihen. Man kann nicht ewig Sachen aus der Vergangenheit einander nachtragen. Das führt nicht weiter und ist vor allem nicht christlich. Ich habe den Eindruck, dass zwischen Serben und Kroaten inzwischen tatsächlich Einiges in Bewegung gekommen ist. Wir hier in Rom können das nur unterstützen und dazu anregen.

In den letzten Wochen hat ein kroatischer Verein, die so genannte „Kroatische orthodoxe Gemeinschaft“ angekündigt, die „Kroatische Orthodoxe Kirche“ zu gründen, die direkt an eine entsprechende Gründung aus dem Zweiten Weltkrieg anknüpft, als im „Unabhängigen Staat Kroatien“, der unter dem Schutzmantel Nazi-Deutschlands und Italiens stand, versucht wurde, die Identität der Serben auszulöschen. Das besorgt die Serben. Wie stehen Sie zu diesen Entwicklungen?

Kardinal Kasper: Dieses Faktum war mir bisher nicht bekannt. Wir sind überhaupt nicht an einer Fragmentierung der Orthodoxen Kirche interessiert. Wir mischen uns natürlich nicht ein, weil es eine innere Angelegenheit ist, aber der Weg zur Einheit kann nicht über die Fragmentierungen verlaufen und ich hoffe, dass das nicht der Fall sein wird, weil das auch unser Verhältnis zur Serbischen Orthodoxen Kirche komplizieren würde. Das darf man sich nicht wünschen.

Inzwischen hat die Orthodoxe Kirche angefangen, im Einvernehmen mit den panorthodoxen Beschlüssen der Vierten vorkonziliaren Konferenz in Chambésy, Bischofskonferenzen in der Diaspora zu gründen. Es wurden etwa die orthodoxen Bischofskonferenzen in Deutschland und der Schweiz gegründet. Wie bewerten Sie diese neue Entwicklung? Stellt sie aus Ihrer Sicht eine neue Chance der Zusammenarbeit dar?

Kardinal Kasper: Grundsätzlich ist die Tatsache, dass so viele orthodoxe Christen heute in westlichen Ländern leben, auch eine Chance, sich besser kennen zu lernen. Die Orthodoxie ist heute nicht etwas Entferntes, sondern es gibt auch die alltäglichen Erfahrungen mit ihr. Das ist auch eine Chance für die Zusammenarbeit. Zum zweiten bin ich sehr glücklich, dass es zu dieser Übereinkunft in Chambésy gekommen ist, weil man nun leichter Ansprechpartner finden wird. Wir erhoffen von dieser Entwicklung auch eine Verbesserung der Dialogmöglichkeiten. Ich begrüße die Gründung der orthodoxen Bischofskonferenzen und wünsche gute Zusammenarbeit. Die Zusammenarbeit wird zunächst mit den lokalen katholischen Bischofskonferenzen stattfinden müssen, aber auch für sie ist es eine große Erleichterung, einen konkreten Ansprechpartner zu haben.

Die Serben reagieren sehr positiv auf die Tatsache, dass der Hl. Stuhl das Kosovo nie als Staat anerkannt hat. Können Sie uns etwas über die Hintergründe dieser Haltung sagen?

Kardinal Kasper: Der Hl. Stuhl ist mit solchen Anerkennungen grundsätzlich sehr vorsichtig. Es kommt dazu erst wenn die Situation gefestigt ist. Der andere Grund ist die Rücksicht auf die Serbische Orthodoxe Kirche. Wir wissen natürlich, dass das Kosovo für die Serbische Orthodoxe Kirche eine schwere Wunde und ein Schmerz ist. Wir wissen auch, dass die Wiege und das Zentrum der Serbischen Orthodoxie im Kosovo liegen. Wir verstehen das und wollen darauf Rücksicht nehmen. Darüber hinaus sind wir auch sehr beunruhigt über gewisse kulturelle Brutalitäten: Im Kosovo werden wichtige historische, kulturelle und auch religiöse Denkmäler zerstört. Das darf nicht sein. Man kann die Geschichte nicht auf diese Weise auslöschen. In dieser Hinsicht ist der Hl. Stuhl auch tätig, um die Positionen der Serbischen Orthodoxen Kirche zu unterstützen, damit diese Denkmäler, Klöster und Kirchen entsprechend geschützt werden.

Das Interview mit Kardinal Kasper führte Ende März in Rom Tihomir Popovic, der verantwortliche Redakteur von SOK AKTUELL.

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